Helfen TV-Sendungen beim Abnehmen?

Warum bewirken TV-Sendungen darüber, wie Dicke abnehmen, beim Zuschauer oft sehr wenig bis gar nichts?

Im Fernsehen gibt es immer wieder diverse Show-Formate, bei denen man Menschen und ihren Abnehmversuchen zugucken kann. Doch helfen sie? Bringen sie andere Menschen dazu, selber an sich zu arbeiten?

Gleichvorweg: Die „Tipps“, die dort den Kandidaten zum Abnehmen gegeben werden, sind aus gesundheitlicher Sicht mitunter haarsträubend! In einer Sendung musste ein Mann jeden Tag 1,4 kg Fleisch essen! Nochmal: 1400 g jeden Tag! Es hat ihn geekelt, es hat ihn gequält. Er hat es 100 Tage lang gemacht. Um den Fettbauch in einen Bodybuilder-Körper zu verwandeln (Ziel: in 100 Tagen). Am Ende hat er sich gewundert, dass er Entzündungsprozesse im Körper hatte und nicht mehr trainieren konnte. (Und nein, er hat das angestrebte Ziel nicht erreicht.)

Schauen wir uns zunächst an, was bei den Zuschauern passiert. Die allermeisten Zuschauer, die rein kognitiv wissen, dass sie selber eigentlich etwas an ihrer gesundheitlichen Situation ändern müssten, werden beim Sehen einer solchen Sendung, extrem aktiviert sein. Sie verfolgen das ganze Leiden des Protagonisten mit. Sie versetzen sich in seine Lage – die Ausgangssituation kennen sie ja nur zu gut. Sollte der Protagonist noch dicker sein als sie – umso besser – dann fühlt man sich nicht ganz so schlecht („Andere habe noch viel größere Probleme. Dann ist es um mich ja nun doch nicht sooo schlimm bestellt.“ – Schon das schafft erstmal psychologische Erleichterung und ein besseres Gewissen). Umso mehr ist man ja nun gespannt, ob der Kandidat sein ambitioniertes Ziel erreicht. Die Zuschauer sind geradezu elektrisiert und verfolgen die ganze Sendung mit extremer Neugierde und Spannung. Schließlich hängt vom Ergebnis, wie es mit dem Kandidaten ausgehen wird, extrem viel ab! Also auch oder gerade für die Zuschauer selbst! Wird er es schaffen oder nicht? Die Zuschauer fiebern mit. Es geht ja um die generelle hochbedeutsame Frage: Kann ich es auch schaffen?

 

Die Antwort lautet: Es ist egal! Es ist egal, ob der Kandidat total sein Leben ändert und einen super Traumkörper erlangt oder ob er total kämpft und schließlich scheitert.

 

Das Schöne und Zynische zugleich an dieser Situation ist, dass unser Gehirn uns einen sehr bösen Streich spielt. Eine gesunde Psyche versucht immer mit allen erdenklichen Mitteln, den eigenen Selbstwert aufzupolieren. Demnach wird das Gehirn des Zuschauers BEIDE (!!!) möglichen Ausgänge als positiv bewerten.

 

Fall 1: Der Kandidat scheitert. Was hat der Zuschauer gelernt?

 „Abnehmen ist schwer. Der Kandidat hat sich ja sooo angestrengt. Er hat so hart gekämpft, hat sich so gequält. Und trotzdem hat er es nicht geschafft. Die ganze Mühe und Not waren umsonst. Das hätte er sich gleich sparen können. Ich ziehe daraus den Schluss, weil es eh nicht funktioniert, dass ich gar nicht erst anfangen muss, mich zu quälen. Man sieht das ja immer wieder und überall, dass Leute es nicht schaffen.“ – Diese Gedankengänge sind unheimlich entlastend für den Zuschauer. Gemütlich kann er sich zurücklehnen und wieder in die Schüssel Kartoffelchips greifen oder noch eine handvoll Gummibärchen nehmen.

 

Fall 2: Der Kandidat besteht mit Bravour. Er krempelt total sein Leben um, verbessert seine Gesundheit, sein Aussehen, blüht förmlich auf, ist glücklich, zufrieden, stolz, was er geschafft hat… Was hat der Zuschauer gelernt?

„Ja, Wunder geschehen. Es ist möglich, mit harter Arbeit abzunehmen. Wenn man nur will und mal anfängt, kann man das schaffen. Dieser Film hat mir gezeigt: Die Welt ist gut. Auch ich könnte das schaffen, ja! J“ – Sooo. Jetzt wird es psychologisch gaaanz spannend! Was ist passiert im Gehirn des Zuschauers? Er hat mitgefiebert, hat sich in den Kandidaten hineinversetzt, hat sich mit ihm TOTAL identifiziert! Der Kandidat hat es geschafft, die positive Stimmung kocht über bei ihm. Auch bei den total involvierten Zuschauern sprudeln die positiven Emotionen. „Ja, es gibt Hoffnung, dass ‚man‘ dünn werden kann. Die Welt ist ja so schön.“ Das ‚man‘ drückt nun schon wieder die eigene Ich-Distanziertheit aus: „Man“ kann, wenn  „man“ will. Bloß nicht von mir persönlich sprechen. Was passiert hier nun? Kurz und bündig: Es findet eine QUASI-Befriedigung statt im Gehirn! Ich als Zuschauer identifiziere mich mit dem Kandidaten, der dick ist. Ich begleite ihn auf dem Weg, leide mit und werde belohnt dafür: Ich darf seine Erfolge stellvertretend miterleben! Mich freuen! Weil es mir selbst Hoffnung schenkt! Die große Kraft der Gedanken ist, dass sie genau in die gleiche Richtung wirken wie reale Erlebnisse (sie haben die gleiche Qualität, nur die Intensität ist manchmal leicht schwächer). Genau deshalb wirken ja Filme! Wir weinen mit in einem Liebesfilm, wir gruseln uns in einem Thriller, so als ob unser eigenes Leben bedroht wäre, ein geiler Porno erregt uns extrem usw. usw. Zurück zu unserem dicken Kandidaten: Er hat es geschafft. Euphorie bricht bei ihm aus. Auch unser Gehirn als Zuschauer schüttet nun fleißig Glückshormone aus. Der Kandidat hat stellvertretend(!) in uns positive Emotionen ausgelöst. Das Ziel „Glück zu empfinden“ ist durch diese Fernsehsendung erreicht worden! Des Zuschauers Glück besteht darin, dass er gelernt hat, dass es „GENERELL“ machbar wäre. Aber „man“ hat ja noch Zeit. „Ich sitze im Moment so gemütlich.“ Als Belohnung, dass er sich diese Sendung von 45, 60 oder 90 Min. brav angeguckt hat, um etwas für sich zu lernen/zu tun, darf er sich jetzt auch erstmal belohnen. Schon greift er – automatisiert – wieder in die Chipstüte oder zu den Gummibären. Und das mit einem SEHR guten Gefühl. Er weiß ja, dass er auch abnehmen KANN, aber „nur nicht jetzt“ – jetzt muss er sich erstmal für diese Erkenntnis (als „den“ großen Schritt) belohnen.

Aktiv werden, kann er ja später… Morgen? Nächste Woche? Nach Weihnachten? Im nächsten Frühling? Das Jahr darauf? Aber all das ist auch schon vergessen in dem Moment, wo der nachfolgende Spielfilm anfängt. J

 

Dieses Beispiel zeigt, dass eine hohe emotionale Involviertheit noch lange nicht ausreicht, um in die Umsetzung kommen!!!

 

 

SOOO geiles Beispiel:
https://youtu.be/7PeA6yTrLUQ?t=1770

 “Einmal dick, immer dick? Übergewichtige Teenies damals und heute im Vergleich | Focus TV Reportage”

 

Die Doku zeigt, dass dicke Jugendliche, die abgenommen haben, später im Erwachsenen-Alter wieder zunehmen. Sie bräuchten eine Therapie, die die Ursachen behebt des Essens aus Langeweile, Leere und Frust:

v  Selbstwertgefühl aufbauen

 

v  Sinnhaftigkeit in ihr Leben geben

 

v  Bezug zu sich selbst aufbauen

 

v 

 

 

 

Bei 29:30 bis 30:35: die Dicken sitzen auf dem Sofa – fressen Süßigkeiten in sich rein – und gucken „Mein Leben mit 300 kg“ – SOOO herrlich, weil es mein Beispiel oben verdeutlicht…

 

 

Reporterin: Warum tut sich Laura diese schockierenden Bilder an?

 

Laura: „So will man nicht aussehen. Und schon gar keine 300 kg wiegen.“

 

à „man“ – sie geht in die unpersönliche Form, um die Distanz zu wahren – zu schmerzlich wäre es, den Fakt zuzulassen, dass sie selbst („ich“) zu dick ist

 

 

 

Laura: „Weil es mir ein besseres Gefühl gibt manchmal. Die Leute zu sehen, die wo fetter sind.“

 

à d. h.: sie macht Abwärtsvergleiche, um sich besser zu fühlen (Motto: Es gibt ja Leute, denen es noch schlimmer geht als mit.)